Der Kerfert – Das Rätsel um einen mysteriösen Friedhof bleibt ungelöst

Die Gemeinde Wilkau war nicht immer eigenständig, vor allem nicht in Kirchenfragen. Eine eigene Kirchgemeinde existierte zunächst nicht. Bis ins 19. Jahrhundert gehörten die Wilkauer zur kleineren Nachbargemeinde Culitzsch. Selbst einen Friedhof besaß Wilkau nicht; die Verstorbenen wurden in Culitzsch beigesetzt. 

Das änderte sich am 4. September 1878. Acht Monate nachdem Wilkau einen eigenen Amtsbezirk für einen Pfarrer erhalten hatte, weihte der erste Pfarrer, Heinrich Adolf Leberecht, den Friedhof der Michaeliskirchgemeinde ein. Er liegt an der heutigen Culitzscher Straße 42. Von da an konnten die Wilkauer in ihrer Heimat bestattet werden. Doch war dies wirklich der erste Friedhof der Gemeinde? Bis Mitte der 1940er Jahre hielt sich hartnäckig das Gerücht, dass „unterhalb des Dörfel-Bäcks“, etwa dort, wo heute das Polizeigebäude steht, eine Begräbnisstätte existiert habe. Ein Hang hinter dem Bäckerhaus, unterhalb der heutigen Schulstraße 8, spielte dabei eine Rolle. Der Schneeberger Heimatforscher Paul Seidel, der sich intensiv mit Wilkaus Geschichte beschäftigte, bekräftigte diese Behauptung immer wieder. Er stützte sich auf die Aussage seiner Mutter. Sie hatte ihm berichtet, dass sie 1866 bei Bauarbeiten für die Kirchberger Straße „eine ganze Menge Knochen“ gesehen habe. Seidel vermutete, es handle sich um den sogenannten Kerfert. Diesen heute unbekannten Begriff übersetzte er mit „Friedhof“. Seidel hielt die Aussage seiner Mutter für glaubwürdig und verteidigte sie bis in die 1940er Jahre. Danach verschwand der Name Kerfert aus der Öffentlichkeit. 

Doch woher stammten die Skelette? Waren es tatsächlich Wilkauer Bürger, die dort bestattet wurden? Oder handelte es sich um Soldaten, die in einem Krieg gefallen waren? Diese Fragen bleiben wohl unbeantwortet – zumindest ohne neue Funde. Tatsächlich entdeckte man in der Nähe des 1896 abgerissenen Bauernguts „Finkenburg“, etwa 200 Meter entfernt, zwölf Soldatengräber und einen langen Säbel. Auf dem Gelände errichtete Friedrich Hermann Richter, Besitzer einer Schuh- und Pantoffelfabrik, 1908 eine Villa. Ob die Soldaten umgebettet wurden, ist unklar. Heimatforscher vermuten, dass die Geschichten über die Finkenburg und ihr unterirdisches Tunnelsystem der Wahrheit entsprechen. Ob sie jedoch mit dem geheimnisvollen Friedhof in Verbindung stehen, wurde nie geklärt. 

Paul Seidel forderte, „dem Volk aufs Maul zu schauen“. Es gebe noch viel aus alten Einwohnern herauszuholen, schrieb er 1941 im „Generalanzeiger für das untere Erzgebirge“. „Nütze die Zeit, ehe es zu spät ist. “ Doch offenbar folgte niemand seinem Rat. Nachforschungen zum Kerfert sind nicht bekannt. Das Rätsel wird wohl ungelöst bleiben. 

Auch das Sächsische Landesamt für Archäologie hat keine Hinweise auf einen Friedhof unter der Kirchberger Straße. „Im sächsischen Meilenblatt fehlt jeder Hinweis“, erklärte Pressesprecher Christoph Heiermann. Auch Funde aus diesem Bereich sind nicht dokumentiert. Allerdings gab es 1866/67 noch keine zentrale Erfassung archäologischer Entdeckungen. Ob beim Bau der Kirchberger Straße Skelette gefunden wurden, bleibt unklar. Spätere Straßenbauarbeiten, zuletzt Ende der 1970er Jahre, brachten jedenfalls keine Funde zutage. Auch in regionalen und sächsischen Archiven gibt es keine Unterlagen zu einem Friedhof oder Soldatengräbern im heutigen Stadtzentrum. 

Der Begriff Kerfert könnte jedoch eine andere Bedeutung haben. Einige Heimatforscher deuten ihn als „Leichenzug“. 1941 widersprach E. Wild, Vertrauensmann für Bodenaltertümer, der Theorie Seidels. Da Wilkau bis 1878 keinen eigenen Friedhof hatte, seien die Toten nach Culitzsch gebracht worden. Vor jeder Beerdigung habe sich ein Trauerzug gebildet, der den mühsamen Weg bergauf nach Culitzsch nahm. Dieser Zug könnte in der Nähe des „Dörfel-Bäcks“ begonnen haben. Der Weg führte teilweise über die heutige Schulstraße, die bis 1878 als Kirch- oder Schulsteig bekannt war. Besucher der Laurentiuskirche in Culitzsch nutzten ihn ebenfalls. Für Wild war der Kerfert daher ein Leichenzug. Diese Deutung gilt heute als wahrscheinlicher. Das schließt jedoch nicht aus, dass an der damaligen Hauptstraße ein Friedhof existierte. Befürworter der Seidel-Theorie vermuten, dass dort Menschen illegal bestattet wurden. Vielleicht scheuten Nachfahren den weiten Weg zum Culitzscher Friedhof – aus finanziellen oder anderen Gründen. Schwer vorstellbar bleibt allerdings, dass die Dorfbewohner davon nichts bemerkten. Aus der Menge der Knochen folgert Paul Seidel, dass es mehrere Personen gewesen sein müssen. Wie viele, kann er jedoch nicht sagen. Dieses Rätsel bleibt ungelöst. 

Das Geheimnis um die Skelette und den Kerfert wird wohl nie gelüftet. Um Klarheit zu schaffen, müsste man tief graben – mit dem Risiko, nichts zu finden. Da das Gelände vollständig bebaut ist, erscheint das unmöglich. So bleibt Paul Seidels Theorie eine Chance, auch das nächste Jahrhundert zu überdauern. 

Frank Dörfelt

Befindet sich unter dieser Kreuzung ein alter Friedhof.1866 sollen dort Knochen gesehen worden sein. Bewiesen wurde das nie. Foto: Frank Dörfelt

War der Kerfert ein Friedhof oder ein Leichenzug? Dieser könnte an dieser Kreuzung in die Schulstraße mündet begonnen haben. Foto: Frank Dörfelt

Die Michaeliskirche wurde am 6. Oktober 1878 geweiht. Zuvor gehörte die Kirchgemeinde zur Culitzscher Kirche. Auch der Friedhof befand sich dort. Foto: Frank Dörfelt

© Frank Dörfelt 2025. Alle Rechte vorbehalten.

Wir benötigen Ihre Zustimmung zum Laden der Übersetzungen

Wir nutzen einen Drittanbieter-Service, um den Inhalt der Website zu übersetzen, der möglicherweise Daten über Ihre Aktivitäten sammelt. Bitte überprüfen Sie die Details in der Datenschutzerklärung und akzeptieren Sie den Dienst, um die Übersetzungen zu sehen.