Der Fall Max Schreiber

Oskar Franke, war ein geduldiger Mensch, doch der Fahrgast der Straßenbahn, die an der Endhaltestelle Zwickauer Straße in Wilkau-Haßlau am Nachmittag des  5. September 1948 auf ihre Abfahrt wartete, ging dem Schaffner gehörig auf die Nerven. Mit einem großen Rucksack und zwei geschnürten Wäschepaketen hatte er sich rücksichtslos in den Anhänger der Bahn gedrängt und immer wieder nervös um sich blickend deren Abfahrt gefordert. Er habe es eilig und müsse zum Zug. Als sich die Bahn rumpelnd in Bewegung setzte, sah Franke, der auf den Einstiegsstufen stand, wie ein Polizist wild gestikulierend hinter der Bahn herrannte. „Ich hatte mir gleich gedacht, dass der Polizist hinter dem eigenartigen Fahrgast her war“, gab er zu Protokoll. Der Zug stoppte und Polizeichef Naundorf zerrte Max Schreiber, so hieß der merkwürdige Fahrgast, samt seinem Gepäck aus der Straßenbahn. Eine Nachbarin des Festgenommen hatte den Polizeiposten informiert, dass Schreiber zum wiederholten Male die Abwesenheit von dessen Ehefrau nutzte, um Bekleidung und Wäsche aus der Wohnung zu holen, um diese zu verkaufen. Der 1888 in Brand-Erbisdorf geborene Schreiber stritt das ab. Er habe zu seiner Arbeit ins Bergwerk nach Oberschlema fahren wollen und seine Arbeitsbekleidung im Gepäck. Er konnte allerdings nicht erklären wie Damenmäntel und Bettwäsche zur Berufskleidung eines Bergmannes gehören sollten. Was der Polizeichef bei der Festnahme Schreibers noch nicht ahnte: Der Diebstahl sollte bald das kleineste Problem Schreiber sein. Polizeianwärter Arnold hatte unterdessen in der Wohnung in der Zimmerstraße 11 die Leiche von Martha Schreiber gefunden. In der Villa Friemann bewohnte das Ehepaar seit 1947 drei Zimmer im oberen Stockwerk. Die Frau lag in ihrem Bett, fein säuberlich mit einer Decke zugedeckt. Um ihren Hals lang noch der Strick mit dem sie erdrosselt worden war.

Max Schreiber wollte vom Tod seiner Frau nichts wissen, erst recht leugnete diese getötet zu haben Der Polizei erzählte er die gleiche Geschichte wie der Nachbarin Charlotte Schütze Stunden zuvor. Demnach sei seine Frau zum Hamstern unterwegs und komme erst in ein paar Tagen zurück. Der Zwickauer Kriminalpolizei, die noch am gleichen Tag die Ermittlungen übernahm, sagte er, er habe eine gute Ehe geführt. Doch die Ermittlungen brachten etwas anderes zu Tage. Wie aus den im Staatsarchiv Chemnitz erhaltenen Protokollen hervorgeht, war die 1911 geschlossene Ehe alles andere als harmonisch. 1920 verließ Max Schreiber seine Frau zum ersten Mal, kehrte jedoch 1934 nach Wilkau-Haßlau und zu seiner Frau zurück. Immer wieder kam es demnach zu heftigen Streitereien. Ab 1947 war Schreiber mehrfach wochenlang verschwunden, was auch die Nachbarn wunderte. Er gab an gearbeitet zu haben. Doch nachweisbar war nur eine kurze Beschäftigung im Bergwerk in Oberschlema. Am 3. September 1948, einem Samstag, war er nach mehrwöchiger Abwesenheit um drei Uhr nachts wieder nach Hause gekommen. Weil die Haustür abgeschlossen war, kletterte er durch das Toilettenfenster und verbrachte die Nacht im Treppenhaus. Zuvor hatte er lautstark damit gedroht, die Tür mit einer Axt einzuschlagen, wenn ihn seine Frau nicht einlasse. Am nächsten Morgen gab sie offenbar nach. Doch die Nachbarn hörten noch immer lautstarken Streit. Nach einigem Zögern gab Schreiber zu, sich mit seiner Frau gestritten zu haben. Den Mord bestritt er weiterhin. Nach mehreren Tagen in Untersuchungshaft machte er jedoch eine Kehrtwende. Als die Kriminalisten schon nach weiteren Zeugen oder Beweismitteln suchten, um ihm die Tat nachweisen zu können, legte er plötzlich ein Geständnis ab. Demnach will er 10 Mark von seiner Frau gefordert haben für eine Wochenkarte der Eisenbahn gefordert haben. Damit wollte er täglich nach Oberschlema und wieder zurückfahren. Doch die Frau haben ihm kein Geld geben wollen, weil sie selbst keines hatte. Schließlich sei ein neuer Streit entbrannt. „In einer Schublade fand ich schließlich die Schnur“, sagte Schreiber aus. Seine Frau habe das nicht bemerkt, da sei er von hinten an sie herangetreten und habe ihr Schnur um den Hals gelegt und zugezogen. Doch die Frau habe sich heftig gewehrt. Es habe einige Zeit gedauert „bis sie ganz still dalag“. Nach der Aussage Schreibers habe er seine Frau in der Küche liegen lassen und sich selbst ins Bett gelegt. Erst am nächsten Morgen habe er die Frau in ihr Bett gelegt und sorgfältig zugedeckt. Seinen ursprünglichen Plan nach dem Tod der Frau den Freitod zu wählen hatte er da schon wieder aufgegeben. Am Vormittag hat er die Treppe gewischt und dabei der Nachbarin Schütze erzählt, dass seine Frau auf einer Hamsterfahrt sei. Was er nicht wusste: Martha Schreiber hatte Frau Schütze darum gebeten darauf zu achten, dass ihr Mann nicht noch mehr Ding aus dem gemeinsamen Haushalt entfernte. Bei der Nachbarin läuteten die Alarmglocken. Schließlich hatte Schreibers Frau nichts davon erzählt, dass sie ein paar Tage abwesend sein würde. Als sie später heimlich in der Wohnung nachsah, übersah sie jedoch die Leiche im Bett. 

Im November 1948 erhob die Staatsanwaltschaft Anklage gegen Max Schreiber. Die für den 22. Februar 1949 angesetzte Hauptverhandlung am Landgericht Zwickau musste verschoben, weil der Angeklagte erkrankte und inzwischen auch Zweifel an seinem Geisteszustand aufgetaucht waren. Sein Anwalt Jürgen Kästner ließ sich von den Ärzten eine Verhandlungsunfähigkeit attestieren. Schreiber wurde aus der Untersuchungshaft ins Heinrich-Braun-Krankenhaus verlegt. Doch dort konnte keine eindeutige Diagnose gestellt werden. Gutachten bestätigten lediglich, dass Schreiber voll zurechnungsfähig war.

Am 21. November 1949 musste sich Max Schreiber vor dem Schwurgericht am Zwickauer Landgericht verantworten. Nach nur einem Verhandlungstag wurde er wegen Totschlags zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt. Für eine Verurteilung wegen Mordes sahen die Richter keine Hinweise. Mildernde Umstände allerdings wollte das Gericht auch nicht gelten lassen. Immerhin hatte der Angeklagte zu diesem Zeitpunkt bereits neun Vorstrafen, in der Regel wegen Betrugs und Unterschlagung. Die ersten Jahre seiner Haft verbüßte er im Schloss Osterstein, später wurde nach Waldheim verlegt. Am 3. Januar 1956 wurde Max Schreiber auf Bewährung vorzeitig aus der Haft entlassen. Die letzten Monate der Haftzeit hatte er als Kalfaktor im Haftarbeitslager Steinkohle in Zwickau verbracht. Damals hatte der Mann, der kurz zuvor 68 Jahre alte geworden war, mehr als sechs Jahr seiner Strafe abgesessen. Die 14 Monate Untersuchungshaft waren ihm auf die Strafe nicht angerechnet worden. Seine Freilassung verdankte er dem Geburtstag das damaligen DDR-Staatspräsidenten Wilhelm Pieck, der an diesem Tag 80 Jahre alt wurde. Über das weitere Schicksaal Max Schreibers ist nichts bekannt

© Frank Dörfelt 2025. Alle Rechte vorbehalten.

Wir benötigen Ihre Zustimmung zum Laden der Übersetzungen

Wir nutzen einen Drittanbieter-Service, um den Inhalt der Website zu übersetzen, der möglicherweise Daten über Ihre Aktivitäten sammelt. Bitte überprüfen Sie die Details in der Datenschutzerklärung und akzeptieren Sie den Dienst, um die Übersetzungen zu sehen.