Von Frank Dörfelt
Hauptwachtmeister Bertram war so ziemlich über alles informiert, was in Stenn (heute Ortsteil von Lichtentanne) vor sich geht. Am 2. April 1931 drang daher auch das Gerücht an sein Ohr, dass die im Ort lebende Frieda Braun ein Kind zur Welt gebracht haben soll. Von der Hebamme Marie Reinhold erfuhr er, dass diese auch schon davon gehört habe, aber zu einer Entbindung nicht gerufen worden war. Als der Dorfpolizist herausfand, dass weder im Standesamt noch bei der Leichenfrau eine Meldung vorlag, machte er sich auf den Weg zu der 43 Jahre alten Frau. Die Witwe eines Obermelkers fand er scheinbar krank auf dem Sofa liegend vor. Sie gestand nach einigem Zögern am 1. April 1931 ein Kind zur Welt gebracht zu haben, das jedoch bereits bei der Geburt tot gewesen sei. Es sei zwei Monate zu früh gekommen. Dass sie das Kind selbst getötet habe, bestritt die Frau, die bereits zwei Kinder hat. Eingepackt in Decken habe sie das Baby fast 24 Stunden neben sich auf dem Sofa liegen lassen. Hauptwachtmeister Bertram fand das Kind schließlich in Hand- und Betttücher gewickelt in einem Fach des Küchenschrankes. Bei einer ersten Untersuchung stellte die Hebamme fest, dass das Baby ein „vollkommen ausgetragenes Kind von neun Monaten“ sei. Die Nabelschnur sei nicht abgeschnitten, sondern abgerissen worden. Ob das Kind bei der Geburt lebte, konnte sich nicht feststellen. Die Hebamme erinnerte sich, dass Frieda Braun bereits im März 1921 eine Frühgeburt hatte, zu der sie niemand geholt hatte und im Juli 1923 in ihrer Wohnung ein Kind zur Welt gebracht hatte, das jedoch bereits tot war, als die Hebamme dort eintraf. Weder die Mutter der ehemals schwangeren Frau, die zwar im selben Haus wohnte, jedoch schon seit zwei Jahren mit der Tochter verfeindet war, noch die Tochter Johanna wollten etwas von einer Schwangerschaft oder der Geburt bemerkt haben. Der Polizist stufte zumindest die Aussage der Tochter als unglaubwürdig ein. Er notierte, dass sie vermutlich von ihrer Mutter zum Schweigen gezwungen wurde. Einzig eine Bekannte erklärte, dass „die Braun Ende März sehr stark schwanger war“. Freunde hatte Frieda Braun offenbar keine. „Die Braun hat keinen guten Leumund“, ist in einem Protokoll nachzulesen. Im Ort verübelte man es ihr, dass sie sexuelle Beziehungen zu mehreren Männern, darunter zu Verheirateten führte. Daher wurde sie auch weitengehend gemieden.
Staatsanwaltschaft zögert mit einem Ermittlungsverfahren
Da nicht ausgeschlossen werden konnte, dass Frieda Braun das Kind tatsächlich getötet hat, leitete die Staatsanwaltschaft Zwickau ein Verfahren wegen Verdachts auf Kindstötung ein. Die Frau bestritt weiterhin ihr Kind getötet zu haben, gab ohne Umschweife aber zu, dass sie verschiedene Liebhaber hatte, teilweise auch gleichzeitig. Darunter war ein Bäckermeister aus Lichtentanne und der in Planitz lebende Bergarbeiter Oskar Bergmann. Frieda Braun gab an, dass er der Vater des Kindes war. Witwer Bergmann, der seine Geliebte Mitte September 1930 im Restaurant Hackepeter in Zwickau kennengelernt haben will, bestritt dies jedoch, gab aber zu von der Schwangerschaft seiner Geliebten gewusst zu haben. Die Mediziner ermittelten eine Empfängnis Anfang Juli 1930. Demnach konnte Bergmann nicht der Vater sein. Von wem das Kind tatsächlich stammte konnte nie geklärt werden. In der erhaltenen Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft wird die Frau als „moralisch haltlos, lügenhaft, stark betontes Ich-Bewusstsein, eingebildet krank, stark erotisch veranlagt und Männern gegenüber hemmungslos“ beschrieben.
Gutachten sollen Klarheit bringen
Um die Frage zu klären ob das Kind bei der Geburt noch lebte gab die Staatsanwaltschaft mehrere Gutachten in Auftrag. Während das erste Gutachten von Dr. Geyer von der Tötung des Kindes ausging, kam Prof. Dr. Heilmann vom pathologischen Institutes des Staatlichen Krankenstiftes Zwickau zu einem anderen Ergebnis „Die im vorläufigen Gutachten ausgesprochene Annahme, dass das Kind bei der Geburt geatmet habe, kann nicht aufrecht erhalten werden“. Das führte zu einem handfesten Streit zwischen Geyer und Heilmann. Ein drittes Gutachten wurde schließlich von Professor Kockel am Institut für gerichtliche Medizin an der Universität Leipzig erstellt. Es enthält einen Kompromiss. „Es spricht wohl die höhere Wahrscheinlichkeit dafür, dass das Kind der Angeschuldigten gelebt hat, sicher ist es aber bei dem Fäulniszustand des Leichnams, nicht“, heißt es im Schlussgutachten. „Hat das Kind gelebt, so kann es durch Würgen am Halse getötet worden sein, es kann aber auch durch Liegen zwischen den Beinen der Kindsmutter unter einer Zudecke allmählich erstickt sein“. Die Letztgenannte, langsamer verlaufende Art der Erstickung, hielten die Leipziger Gutachter für am nächsten liegend.
Die Kindsmörderin steht vor Gericht
Am 26. Oktober musste sich Frieda Braun vor dem Amtsgericht Zwickau verantworten. Im Zweifel für die Angeklagte ging die Strafkammer unter Vorsitz von Amtsgerichtsrat Müller davon aus, dass das Kind eine Totgeburt war. Allerdings, so wertete das Gericht zu Lasten der Angeklagten habe sie darüber nicht die Behörden informiert und schließlich auch noch versucht das Baby beiseite zu schaffen. Die Richter ließen dennoch Gnade walten, weil sie nicht vorbestraft war und in ärmlichen Verhältnisse lebte, verhängten sie eine Geldstrafe von zehn Reichsmark (heute 2,63 Euro). Ob die verarmte Frau die Strafe jemals zahlte oder diese im Gefängnis absitzen musste, ist ebenso wenig bekannt wie das weitere Schicksal der Frieda Braun.
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